Das Selbstporträt - eine Handreichung zum Üben

von Henning Spitzer

 

10 Wege, wie man sich seiner selbst nähern kann

 

 

Jede freie künstlerische Arbeit ist in gewisser Weise ein Selbstporträt. Der (lebendige und reflektierte) Umgang mit sich Selbst findet mehr oder weniger stark ausgeprägt in sämtlichen Äusserungen und auch Unterlassungen. Bewußtes wie Unbewusstes, Abbildhaftes und Inneres tritt zu Tage. Es ist intim. Nicht unbedingt für andere bestimmt. Dazu oft eine Momentaufnahme.

 

Das Selbstbildnis

In einem guten Selbstbildnis öffne ich mehr als ich verstecke, Vermögen und Unvermögen lassen mich nackt erscheinen. Ich will gerne gestehen, daß Selbstbildnisse bisher nicht im Mittelpunkt meines Tuns stehen. Meine Neugier bezieht sich eher auf die Selbstwahrnehmung des Umfeldes. Zudem halte ich als Bildhauer ein plastisches Selbstbildnis für ungeheuer schwierig. Die Gefahr beim Anfertigen eines Selbstbildnisses liegt in der verkrampften Arbeitsweise. Dem lässt sich sehr gut durch wiederholtes Üben begegnen. Auch der Anspruch an die äußerliche Wiedererkennbarkeit macht es Anfängern oft nicht leicht. Dabei lässt  sich vielmehr als ein fotografisches Abbild ausdrücken - den eigenen Seelenzustand, Charakter, Temperament. So wird das Fremde, nicht Sichtbare, oft unbewußt Teil des Werkes. Dieses und nur dieses gibt mir immer wieder den Sinn für diese Art der Beschäftigung.

Als Beispiel möchte ich ich hier zwei eigene Selbstbildnisse zeigen, zwischen denen 40 Jahre Leben liegen. Das geschlossene, ruhige, behütete anmutende Porträt eines Jungen, der gerne hinschaut, jedoch (noch) keine Aufgabe im Tun sieht. Und dann das betont inszenierte, etwas willentliche, temperamentvolle Abbild aus jüngster Zeit. Der Verlust der sympathischen Unschuld durch Schule, fortwährendes Probieren, Ausprägung einer Handschrift und das Verfolgen einer Aufgabe, einer Absicht sind leicht zu spüren. (Nur will ich mir die Neugier erhalten. Dann akzeptiere ich auch Gewinn und Verlust.)

 

 

Inszenierung

 

 

Besser als eine Fotografie, die als starres Abbild sehr viel mehr festlegt als offen läßt, eignet sich der Spiegel für das Selbststudium. Doch auch eine Selbstbeschreibung ohne jegliche Hilfe ist eine Übung wert.

Unter Zuhilfenahme des Spiegels geht es nun darum, sich ins rechte Licht zu rücken. Eine Ausleuchtung, die, die Plastizität, also die runde Form statt des Umrisses betont, ist meist sinnvoll. Die Figur-Grund-Beziehung. Was will ich darstellen?

 

 

Im Folgenden möchte ich Ihnen / Euch 10 Übungen zu unterschiedlichen formalen Kriterien vorstellen. 

In Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus ist dieses Angebot entstanden und umfasst auch Online-Konsultationen. Dazu sendet mir einfach ein Foto Ihrer / Eurer Arbeit an meine Mail oder WhatsApp- Adresse. Nur Mut.

 

Gutes Gelingen.

 

 

 

 

Übung 1 - Nicht Hinschauen sondern auf Sich-Wirken-Lassen

 

  • Es geht um die Typfindung, ist vielleicht besser durch einen größeren Abstand zum Spiegel zu erfassen. Auch eine Unschärfe der optischen Wahrnehmung zu erzeugen ist hilfreich, z.B. durch Blinzeln, Brille ab- bzw. aufsetzen. Bei der Typfindung geht es um das Wesen der Erscheinung, nicht um die Erscheinung. Also das Ziel, hinter die Fassade zu blicken. Wie erscheine ich mir. Diese Frage muß trotz Suche nach dem Wesentlichen nicht immer gleich beantwortet werden. Den Typ zu erfassen und treffend wiederzugeben halte ich für wichtiger als die Wiedererkennung. Dabei schließt das eine das andere nicht unbedingt aus. Es ist ratsam, erstmal inne zu halten und nicht direkt in den Spiegel zu schauen sondern, sein Antlitz auf sich wirken zu lassen. Wenige lange Linien sind oft überzeugender als viele.

    Wir brauchen dazu ein (besser mehr) großes Blatt (A2) Papier, eine feste Unterlage, 2 Klammern, Zeichenkohle, Lappen und eventuell Radiergummi, 2 Stühle und eine Staffelei für den Spiegel oder einen Tisch auf dem der Spiegel steht

    Nach der ersten Überwindung einfach anzufangen gehts los:
    Den einen Stuhl zum Sitzen, 2 vorderen zum Auflegen des Brettes, um einen guten Überblick zu haben und trotzdem, nur durch Heben der Augen, nicht des Kopfes, sich im Spiegel zu sehen

    Lasst uns treiben, noch nicht zu kritisch in den Spiegel schauen und nicht versuchen, alles richtig zu machen, keine Details.
    Welche große Grundform sehe ich, einfach mehrmals umrunden mit der Zeichenkohle und dabei immer etwas verändern. Dann die Augenhöhe erstmal in der Mitte festlegen.  Wohlgemerkt in die Mitte des Kopfes, nicht des Gesichtes. Dann den Hals mit 2 Parallelen konturieren. Die Lage von Mund, Ohren, Nase kurz andeuten.

    Und dann alles nochmal wegwischen. Beim zweiten Mal gehts schneller, einige Linien sind ja noch sichtbar. 

    Es geht um Geschwindigkeit. Dieses Entstehen und Zerstören noch ein paar Mal wiederholen. Keine Angst. Es bleibt zum Schluß etwas. Zumindest ein Befreiungsschlag und eine neue Erfahrung.

 

 Übung 2 - Das Profil - ein Scherenschnitt

 

Technisch keine ganz einfache Übung. Umständlich mit mehreren Spiegeln könnten wir uns selbst sehen oder einfach ein Profilfoto kann auch als Grundlage dienen. Es geht wieder um die Geometrie. Allerdings um die flächige Wahrnehmung. Versucht (versuchen Sie) Schulter, Kopf und Hals zu studieren. Dabei zunächst  die Schulter als Trapez, den Hals als etwas nach vorne gerichtetes Rechteck und den Kopf als Rechteck, Parallelogramm bzw. Trapez erkennen. Wo ist der höchste Punkt des Kopfes, wo beginnt das Gesicht, wie sind die Seiten gerichtet? Wie tief liegen die Augen? 

Lässt sich der Punkt der Nasenspitze in Bezug zu Stirn und Kinn finden? Wenn die Grundanordnung und Ausrichtung stimmen können wir weiter ins Detail gehen. Wie gesagt, es geht nur um die Kontur. Mit Bleistift auf Papier (nicht größer las A4) und Korrektur mittels Radiergummis lässt sich diese gut erarbeiten.  Zuletzt den gefundenen Umriss auf ein Blatt Scherenschnittpapier übertragen (z.B. durch Abpausen) und dann mit Cutter oder Schere ausschneiden und auf ein dickes Blatt kleben. Zum Schluß müssen wir noch den Bezug zum Rand finden. Wie weit läßt sich die Leere um den Kopf aktivieren? Mit 4 Papierstreifen läßt sich alles gut abdecken und die das Format gut finden.

 

Übung 3 - Der Kopf als Architektur

 

Nach dieser Lockerungsübung, die womöglich schon viel über uns verrät, lasst uns/lassen Sie uns den Kopf als Geometrie wahrnehmen, mehr mit dem Verstand, weniger mit den Sinnen. Ergebnis dieser Übung soll kein schönes Bild sein, sondern ein paar AHA-Effekte.
Der Kopf als ausgerichtetes Objekt im Raum läßt sich am Besten in der archaischen Grundform des Quaders ausdrücken. Und auch vorstellen. Nehmen wir z.B. einen Schuhkarton. Stellen ihn senkrecht, so daß sehr gut ein Kopf hinein passt. Die kleinsten Flächen wären oben und unten, die größte Seitenfläche entspricht der linken und rechten Kopfseite. Alles vereinfacht vorgestellt. Auch ein echter Karto kann sehr hilfreich sein. Wer diesen zur Hilfe hat, mag folgende Einzeichnungen machen: Die Profillinie (eine Senkrechte ) und eine Mittelhorizontale rundherum, auf welcher später Ohren und Augen liegen. Der Mittelpunkt der großen Seitenflächen bildet die Ohrachse. Die horizontale Linie auf der Gesichtsfläche teilen wir in 5 gleich lange Abschnitte, Abschnitt 2 und 5 zeigt ungefähre Lage und Größe der Augen. Also viel Vorstellung ist nun gefragt.

Schauen wir frontal in den Spiegel. Den Quader können wir genauso ausrichten. Auf ein Bogen Papier zeichnen wir ein hochgestelltes Rechteck und mittig wie oben beschrieben die Augen ein.  Dazu die Achse der Ohren, die ebenfalls auf der Augenachse  liegt (noch). Und die Symmetrieachse, also Mittelsenkrechte. Wer will kann dazu auch noch Mund und Nase einzeichnen, noch nach belieben. Auch ein in das Rechteck eingeschriebenes Oval als Kopfumriss hilft vielleicht, alles besser zu orten. Diese frontale Ansicht ist ein Ideal, ein Sonderfall, sehr gut geeignet, um präzise die Symmetrie und Asymmetrie zu studieren, wirkt direkt, starr und wenig räumlich - ohne Zuhilfenahme des Licht-Schatten-Spiels. Nun besteht die Aufgabe darin, das eigene Porträt mit Hilfe des Spiegels und der vorherigen simplen Konstruktion geometrisch etwas differenzierter einzuzeichnen, ohne Licht und Schatten. 

 

Diese totale Frontalität bringt uns an eine Grenze - die des plastischen Ausdrucksvermögens durch die Konstruktion. Ergebnis ist oft eine blutleere Wirkung trotz Wiedererkennung.  Deswegen empfehle ich die folgende Übung als Fortsetzung:

 

Übung 4 - Der Kopf als Architektur (2)

 

Lasst uns ein Blatt so aufteilen, daß mehrere Studien Platz haben. Wir nehmen das Modell des Quaders und neigen dieses ein wenig nach vorn unten (um die Ohrachse) Auch unseren Kopf können wir im Spiegel entsprechend neigen. Senken wir beispielsweise Kopf und Quader simultan, so verkürzt sich die Gesichtsfläche, während die Oberseite mehr Raum bekommt. Die Ohrachse, ungefähr durch die Mitte der Seitenflächen, bleibt am Ort. Die Augen erscheinen unterhalb der Kopfmitte, das Kinn flieht, die Nasenspitze berührt den Mund. Nun lassen sich weitere Untersuchungen durch Kopfdrehung und Kombination aus Neigung und Drehen durchführen.

Keine Details, nur Andeutungen von Augen, Ohren, Nase und Mund reichen für diese Untersuchung. Eine weitere Differenzierung können wir mit der nächsten Übung vornehmen.:

 

 Übung 5 - Die Facetten

 

 Den Kopf als aus glatten Flächen geschnitzte Form, einem Kristall gleich, ohne Rundungen, wahrzunehmen, kann uns zu Prägnanz und Ausdrucksstärke führen. Gerade das Spannungsfeld der Verwinkelungen zwischen den Facetten eröffnet uns eine Welt. Bestens geeignet sind lebhafte Schraffuren in verschiedene Richtungen. Wo die Grenzen zwischen den Flächen verlaufen, dafür müssen wir unser Gefühl bemühen. Auch ein lebhaftes Herantasten ohne genaue Konturen kann zu guten Ergebnissen führen. Neben Bleistift und Kohle läßt sich diese Übung auch sehr gut mit Feder ausführen. 

 

 Übung 6 - Das Volumen

 

So wie der Kopf als Ganzes ein konvexer (nach außen gewölbter)Körper ist, so sind es auch die Einzelformen. 

Die runden Formen lassen sich gut mit Pigment und Fingern oder Pastellkreide zeichnen und modellieren. Eine leichte Zuhilfenahme der Hell-Dunkel-Abstufungen erleichtert die Raumwirkung und gibt mehr Zusammenhalt. So könnte am Ende eine aus vielen Kugeln oder kugelartigen Gebilden zusammengesetzter Form entstehen.

 

 Übung 7 - Das Licht

 

Fortsetzung folgt...

 

 

 

 

Copyright :  Henning Spitzer, ein Angebot in Zusammenarbeit mit Kunsthaus Güstrow